Der wahrhaft theologische Weg zum Heil

Ihr verlaßt Euch darauf, daß der Stolz mich an der zur Rettung notwendigen Zerknirschung hindern wird, und stellt dabei nicht in Rechnung, daß es eine stolze Zerknirschung gibt. Die Zerknirschung Kains, der der festen Meinung war, seine Sünde sei größer, als daß sie ihm je verziehen werden möchte. Die contritio ohne jede Hoffnung und als völliger Unglaube an die Möglichkeit der Gnade und Verzeihung, als die felsenfeste Überzeugung des Sünders, er habe es zu grob gemacht, und selbst die unendliche Güte reiche nicht aus, seine Sünde zu verzeihen, – erst das ist die wahre Zerknirschung, und ich mache Euch darauf aufmerksam, daß sie der Erlösung am allernächsten, für die Güte am allerunwiderstehlichsten ist. Ihr werdet zugeben, daß der alltäglich-mäßige Sünder der Gnade nur mäßig interessant sein kann. In seinem Falle hat der Gnadenakt wenig Impetus, er ist nur eine matte Betätigung. Die Mittelmäßigkeit führt überhaupt kein theologisches Leben. Eine Sündhaftigkeit, so heillos, daß sie ihren Mann von Grund aus am Heile verzweifeln läßt, ist der wahrhaft theologische Weg zum Heil.

(Thomas Mann, Doktor Faustus – Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde, S. 333 [Frankfurter Ausgabe, hrsg. v. Peter de Mendelssohn, 1980])

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