Was die DDR legitimierte

Dieses Parteiergreifen für die DDR hing mit Brecht zusammen, Brecht war die Legitimation, warum man für die DDR sein konnte. Das war ganz wichtig. Weil Brecht da war, mußte man dableiben. Damit gab es einen Grund, das System grundsätzlich zu akzeptieren. Ein Beweis für die Überlegenheit des Systems war die bessere Literatur, Brecht, Seghers, Scholochow, Majakowski. Ich habe nie daran gedacht, wegzugehen. Vielleicht ging es gar nicht darum, ob der Sozialismus in der DDR gewinnen könnte oder nicht, das ist schon eine zu praktische oder politische Überlegung. Brecht war das Beispiel, daß man Kommunist und Künstler sein konnte – ohne das oder mit dem System, gegen das System oder trotz des Systems. Brecht war eine europäische Position gegenüber der nationalen. Und natürlich ist eine Diktatur für Dramatiker farbiger als eine Demokratie. Shakespeare ist in einer Demokratie undenkbar. Die DDR war in dieser Phase eine gut ausbalancierte Monarchie. Das hat Kounellis, mein Bühnenbildner für die „Mauser“-Inszenierung 1990, als griechischer Bauer ganz schön gesagt: „Je mehr Staat, desto mehr Drama. Je weniger Staat, desto mehr Komödie“. Das war für Brecht auch ein Punkt, dieser Erfahrungsdruck. Der Aufenthalt in der DDR war in erster Linie ein Aufenthalt in einem Material. Das ist wie in der Architektur, auch Architektur hat mehr mit Staat zu tun als Malerei, und das Drama hat mehr mit Staat zu tun als andre literarische Gattungen. Da gibt es auch ein bestimmtes Verhältnis zur Macht, auch eine Faszination durch Macht, ein Sich-Reiben an Macht und an Macht teilhaben, auch vielleicht sich der Macht unterwerfen, damit man teilhat. Und was dann im Laufe der Jahre mit meinen Texten passiert ist, geht weniger von mir aus, es ist ein Reflex auf die Aushöhlung der Macht. Zuletzt war da nur noch ein Vakuum, und darauf reagieren die Texte. Das ist dann die Suche nach einer Macht, an der man sich noch reiben kann.

(Heiner Müller, Krieg ohne Schlacht – Leben in zwei Diktaturen, 1992, S. 112 f.)

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