„Meine Kindheit trägt die Farbe des Wortes Hämatom“… Ich weiß in etwa, was ich damit gemeint hatte, in der synästhetischen Verschiebung des Effekts, sehe aber auch das Pathos des erstmals Zurückblickenden, für den die eigene Kindheit und Jugend plötzlich objektivierbar werden. Die Farbe des Wortes: Auf ärztlichen Attesten und Gutachten hatte dieses Wort nämlich oft gestanden, immer wieder hatte es dagestanden, „Hämatom“… Ich hatte erst nicht gewusst, was „Hämatom“ heißt, mir es aber durch den Kontext erschlossen, der sowieso eine ganz neue Sicht auf die Geschehnisse ermöglichte, einen dritten, objektiven Blick, den eines Arztes, den ich gar nicht kannte, der aber das Leben, das wir hier führten, nüchtern und genau und mit Fachtermini gespickt … darstellte. Neben den Comics waren das die ersten nachhaltigen Lektüreerlebnisse.
(Thomas Melle, Die Welt im Rücken, 5. Aufl. 2016, S. 94 f.)