


Hier ist die Geschichte dieser Bilder | Here is the story of these photos
(dt. | engl.):
Dt.:
Ich habe die Fotos im Sommer in San Francisco geschossen, als ich mich am Vormittag durch die vom Brutalismus dominierten Teile von Downtown habe treiben lassen. Den dortigen Brutalismus habe ich ambivalent wahrgenommen: Auf der einen Seite sind da mutige Konstruktionen, die die Schwerkraft aufzuheben und mit Leichtigkeit nach oben in den Himmel zu greifen scheinen, auf der anderen Seite solche, die den Eindruck machen, als würden sie von ihrer eigenen Masse erdrückt werden und gleich in sich zusammenstürzen. Verstärkt wurde mein Eindruck dadurch, dass manche Bauten wunderbar bewahrt und gepflegt sind, während andere schlimm vernachlässigt und nahezu dem Verfall preisgegeben sind – so der geradezu maßlos-gigantische Vaillancourt Fountain (61 m x 43 m x 12 m): vom Rost zerfressener, blasenbildender und aufgeplatzter Beton schauerlichen Anblicks!
Vielleicht hat aus diesem Grund jemand den Aufkleber mit dem Schriftzug „Avoid the Subject“ wohlmeinend auf die Hinweistafel geklebt, um Menschen vor dem Betreten des Brunnens zu warnen oder davor, dass Kinder in dem Brunnen spielen, damit sich niemand verletzt. Vielleicht ist der Aufkleber auch Ausdruck der streitigen Diskussionen, die es von Anfang an um den Brunnen gab.
Und als reichte der schauerliche Anblick nicht aus, um den Bau von seiner unwirtlich-feindlichen Seite zu zeigen, ergoss sich zudem aus einzelnen Betonsegmenten in großem Schwall und lautem Fall Wasser in das Becken – Wasser, dessen Farbe nicht anders als uringelb bezeichnet werden kann! Dass nicht nur vor dem Bau, sondern auch vor dessen Wasser jemand meinte, warnen zu sollen, schien mir mehr als angebracht! Doch dass die Warnung – wohl unfreiwillig – noch eine weitere, dritte Dimension beinhaltete, bemerkte ich erst bei noch eingehenderer Betrachtung.
Vorweg: In San Francisco ist Obdachlosigkeit ein mehr als drängendes Problem; Obdachlose prägen schlicht das Straßenbild in Downtown. Die milden Wintertemperaturen bewegen viele, dorthin zu kommen, wohingegen sie andernorts im Winter zu erfrieren drohen. Wieviel San Francisco hilft, was getan wird, was nicht – ich weiß es nicht; ich weiß nur: Angesichts dessen, was ich gesehen habe, ist es zu wenig!
Teilweise in den Schatten des Kolossalbrutalbaus hatte sich nun, noch bevor ich darauf aufmerksam wurde, ein Mensch gelegt. Er oder sie, es war nicht zu erkennen, schien zu schlafen. Im Übrigen hatte die Gestalt neben ihren Kleidern am Leib nichts anderes als eine Papiertüte bei sich, vielleicht gefüllt, vielleicht leer, und eine Decke, in die sie teilweise eingehüllt war. So entstand vor meinem inneren Auge ein Gesamtbild der Szene, dem ich mit einem Foto versucht habe, Ausdruck zu geben, und zu dessen Verwirklichung es nur zweier Handgriffe bedurfte: zuerst die Umwandlung der Aufnahme in Schwarz-Weiß und anschließend die Zurückkolorierung des Wassers, dem ich gegenüber dem Original lediglich etwas mehr Grünanteile hinzugefügt habe. – Ecce homo:
Ein Mensch begibt sich ruhesuchend in eine Umgebung der Gesellschaft, in die sich zu begeben eigens gewarnt wird. Diese Umgebung, der riesige Brunnen, bezeichnete einmal den Reichtum, den sich zu leisten die Gesellschaft imstande war. Jetzt bröckelt er, ist löchrig, porös. Und der Überfluss, der einst strömte, ist zu einer widerlich-abstößigen Flüssigkeit geworden, die sich auf die am Rand der Gesellschaft Lebenden, von ihr Gemiedenen, Ausgestoßenen, ja geradezu Ausgespienen („spewed out“) zu ergießen scheint. „Avoid the Subject“ gilt auf diese Weise nicht nur dem Brunnen und seinem Wasser, sondern auch dieser Gestalt wie allen gesellschaftlich ausgegrenzten Menschen.
Alle Menschen sind Teil der Gesellschaft – doch ein Teil ist es nicht. Das ist falsch, das ist verkehrt, und darum steht das dritte Foto auch auf dem Kopf – und doch nicht, denn es gibt die Wirklichkeit insoweit richtig wieder. San Francisco, turn around! You can do better – you must do better!
Wie bei jeder Ausstellung stellen die Bilder hier lediglich eine Auswahl dar (und werden überdies in verringerter Qualität präsentiert – aus naheliegenden Gründen).
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Engl.:
I took these photos in San Francisco this summer, on a morning spent drifting through those parts of downtown dominated by the local Brutalist style of architecture. My observations were ambivalent: there were, on the one hand, bold constructions that appeared to defy gravity and to reach upwards into the sky without effort; on the other hand, there were buildings seemingly about to collapse, in danger of being crushed by their own weight. My conflicting impressions were reinforced by the fact that some buildings are wonderfully preserved and well maintained, while others appeared badly neglected and almost abandoned to decay – such as the almost immeasurably gigantic Vaillancourt Fountain (61 m x 43 m x 12 m): a rust-eaten, blistering, tangled mass of concrete, a gruesome sight to behold.
Perhaps this is what inspired some well-intentioned visitor to affix on the plaque a sticker that reads, “Avoid the Subject”: to warn people not to enter the fountain, or to prevent children from playing there, lest someone get hurt. Perhaps the sticker also reflects the contentious discussions that surrounded the fountain from the very beginning.
And if the structure’s appearance alone were not sufficiently inhospitable and hostile, water poured forth into the basin from individual concrete segments, gushing and splashing loudly – water which cannot be described as anything other than the colour of urine. It seemed more than appropriate that someone should give a warning not only about the structure, but also about its water. Only at second glance, however, did I realise that the warning – almost certainly unintentionally – contained another, third dimension.
To anticipate: homelessness is a more than pressing problem in San Francisco; homeless people quite simply characterise the streetscape in the city centre. The mild temperatures in winter attract many who risk freezing to death elsewhere. How much San Francisco does to help, what specifically is being done, what isn’t – I do not know; I only know: in consideration of what I saw, it is not enough.
Half shrouded in the shadow of this colossal, brutal structure, I suddenly realised, lay a person. He or she, it was impossible to tell, seemed to be asleep. Apart from their clothes, this person had nothing but a paper bag, perhaps full, perhaps empty, and a blanket in which she or he was half wrapped. Before my mental eye appeared an overall image of the scene, and this is what I tried to express through my photo. It required only two more steps: first, to convert the photo to black and white, and then to re-colour the water, boosting the green hues just a little bit. – Ecce homo:
In search of peace and quiet, a person enters an environment into which people are specifically warned not to venture. This environment, the huge fountain, once stood for the wealth that society was able to afford. Now it is crumbling, porous, full of holes. And the abundance that once flowed from it has turned into a disgusting, repulsive liquid that seems to pour out onto those living on the margins of society, those shunned by it: outcasts indeed, spewed out. Thus, “Avoid the Subject” applies not only to the fountain and its water, but also to this figure and to all marginalised people.
All people are part of society – but some are not. That is wrong, that is perverse, and that is why the third photo is upside down – and yet not, for it depicts reality correctly. San Francisco, turn around! You can do better – you must do better!
As with every exhibition, the pictures here are only a selection (and are also presented in reduced quality – for obvious reasons).
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