Krankheit als Streben nach Bewahrung der Identität

Ich möchte … darauf hinweisen, dass eine Krankheit nie lediglich ein Überschuss oder eine Einbuße ist, sondern dass es immer eine Reaktion des betroffenen Organismus oder des Individuums gibt, die darauf abzielt, etwas wiederherzustellen, zu ersetzen, auszugleichen und die eigene Identität zu bewahren, ganz gleich, wie seltsam die Mittel zu diesem Zweck auch sein mögen. Es ist ein wesentlicher Teil unserer Aufgabe als Ärzte, …, auch diese Mittel zu untersuchen und zu beeinflussen.

Ivy McKenzie hat diesen Punkt eindrucksvoll unterstrichen: „… Der Arzt beschäftigt sich … nur mit einem einzigen Organismus, nämlich dem des Menschen, der seine Identität unter widrigen Bedingungen zu bewahren sucht.“

Diese Dynamik, dieses „Streben nach Bewahrung der Identität“, so sonderbar die Mittel und Auswirkungen dieses Strebens auch sein mögen, …, und diese Erkenntnis ist, wie so vieles andere, eng mit dem Werk Sigmund Freuds verknüpft. So waren für ihn Wahnvorstellungen nicht primäre Erscheinungen, sondern der (wenn auch fehlgeleitete) Versuch der Wiederherstellung, der Rekonstruktion einer Welt, die dem Chaos anheimgefallen ist. Eben dies meint Ivy McKenzie, wenn er schreibt: „Die Pathophysiologie des Parkinson-Syndroms ist die Beschreibung eines organisierten Chaos, eines Chaos, das in erster Linie durch die Zerstörung wichtiger Integrationen entstanden und im Verlauf des Rehabilitationsprozesses auf einer unsicheren Basis reorganisiert worden ist.“

(Oliver Sacks, Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, 2023 [die damalige Ausgabe habe ich nicht mehr], S. 21 f.)

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