Anderssein… Es braucht eine lange Zeit, viele einsame Stunden, um mich zu lehren, daß es immer nur darum geht, daß es zwischen Männern und Frauen, unter Freunden und Bekannten immer um dieses Anderssein geht, das die Menschheit in zwei Parteien spaltet. Manchmal glaube ich schon, daß es auf der Welt nur diese beiden Parteien gibt und … nur Varianten dieses Andersseins… Und so … vermag eine Seele der anderen nur dann zu helfen, wenn diese nicht „anders“ ist, wenn ihre jenseits von Ansichten und Überzeugungen liegende geheimste Wirklichkeit ähnlich ist… Und … mir [ist] noch etwas klargeworden…[,] immer lieben wir den „anderen“, immer suchen wir ihn, in sämtlichen Umständen und Wechselfällen des Lebens… Das größte Geheimnis und das größte Geschenk des Lebens besteht darin, dass sich zwei „gleichartige“ Menschen begegnen. Das kommt so selten vor – es muß daran liegen, daß die Natur mit List und Gewalt einen solchen Zusammenklang verhindert –, vielleicht weil … die Spannung nötig ist, wie sie zwischen einander ewig suchenden, gegensätzlich gestimmten Menschen entsteht… Wieviel Verzweiflung, wieviel blinde Hoffnung hinter dieser Zweiheit! … Und man kann im Leben alles erreichen…, das Leben kann einem alles geben, man kann vom Leben alles nehmen; aber den … Menschen kann man nicht ändern, nicht sein Anderssein, das ihn völlig charakterisiert, während er dir doch nahesteht, dir wichtig ist.

(Sándor Márai, Die Glut, 4. Aufl. 1999, S. 176 ff.)