Die psychotherapeutischen Methoden wuchern im Überfluß bei den üppig lebenden Völkern: das Fehlen von unmittelbaren Sorgen unterhält hier ein krankhaftes Klima. Um ihr nervöses Wohlbefinden zu bewahren, bedarf eine Nation eines konkreten Unheils, eines Objekts für ihre Beunruhigungen, eines positiven Schreckens, der ihre „Komplexe“ rechtfertigt. Die Gesellschaften konsolidieren sich in der Gefahr und verkümmern in…
Schlagwort: Syllogismen der Bitterkeit
Der Friseur als Sokrates
Eine Liebe, die aufhört, ist eine so reiche philosophische Erfahrung, daß sie aus einem Friseur einen Konkurrenten des Sokrates macht. (E. M. Cioran, Syllogismen der Bitterkeit, 1995, S. 66)
Glaubensrot oder: Der wahre Gottesbeweis
Und ich denke an jenen Universitätsprofessor in Südosteuropa, der eine seiner Schülerinnen über die Beweise der Existenz Gottes befragt; sie legt los: historischer Beweis, ontologischer Beweis usw. Aber sie beeilt sich hinzuzufügen: „Und doch glaube ich nicht daran.“ Der Professor ärgert sich und wiederholt die Beweise der Reihe nach; mit einem Achselzucken beharrt sie in…
Gebet als Streit
Im Alten Testament verstand man sich darauf, den Himmel einzuschüchtern, man drohte ihm mit der Faust: das Gebet war ein Streit zwischen dem Geschöpf und seinem Schöpfer. Das Evangelium kam, um sie zu versöhnen… (E. M. Cioran, Syllogismen der Bitterkeit, 1995, S. 60)
Lebensprogramm: Atmen!
Fragt mich nach meinem Programm: Atmen, ist das keines? (E. M. Cioran, Syllogismen der Bitterkeit, 1995, S. 48)
Was wir den anderen niemals verzeihen
Alle unsere Rachegefühle entstehen daher, daß wir uns selbst nicht erfüllen können, weil wir unter unserem Niveau bleiben. Das werden wir den anderen niemals verzeihen. (E. M. Cioran, Syllogismen der Bitterkeit, 1995, S. 44)
Heilkraft der Panik
Glücklich jene Mönche, die gegen das Ende des Mittelalters von Stadt zu Stadt liefen und das Ende der Welt verkündeten! Zwar hatten ihre Theorien es nicht eilig, in Erfüllung zu gehen – was lag daran! Sie konnten alle Fesseln abwerfen, ihren Verstörungen freien Lauf lassen, sich über die Mengen ergießen und damit ihre Psychosen loswerden;…
Gesichtsverschanzung
Wir verschanzen uns hinter unserem Gesicht; der Narr verrät sich durch das seine. Er bietet sich dar, er denunziert sich den anderen. Da er seine Maske verloren hat, macht er seine Angst öffentlich, drängt sie dem ersten besten auf, plakatiert seine Rätsel. Soviel Indiskretion erregt Ärgernis. Normalerweise knebelt man ihn und isoliert ihn. (E. M….
Buddha als Nörgler
Dem Gedanken an den Tod alle die Stunden gewidmet zu haben, die einen Beruf erfordert haben würde… Die metaphysischen Überschwenglichkeiten sind das besondere Merkmal der Mönche, der Wüstlinge und der Clochards. Eine Anstellung hätte sogar aus Buddha einen simplen Nörgler gemacht. (E. M. Cioran, Syllogismen der Bitterkeit, 1995, S. 33)
Die mörderische Kompetenz der Professoren
Nicht genug zu tadeln ist das neunzehnte Jahrhundert dafür, daß es dieses Gezücht von Glossatoren begünstigt hat, diese Lesemaschinen, diese Mißbildung des Geistes, die der Professor inkarniert, – Symbol des Niedergangs einer Kultur, der Abstumpfung des Geschmacks, der Suprematie des Fleißes über den Einfall. Alles von außen sehen, das Unsagbare systematisieren, nichts von Angesicht zu…