Normgebete

Gott hatte ich verloren, als ich das Beten optimierte. Seit frühester Kindheit hatte ich jeden Abend zwei lange Normgebete gesprochen, und zwar mit enervierender, masochistischer Langsamkeit, um bloß nicht der Eile und Oberflächlichkeit bezichtigt werden zu können. Zwischen beiden hatte ich immer ein ziemlich langes Zwiegespräch mit Gott geführt, eine tatsächliche Rekapitulation des Tages vorgenommen…

Die große Illusion Familie

… gerade in italienischen Familien gibt es strenge Gebote des Redens und Schweigens, die für jedes Familienmitglied nur ganz bestimmte Erzählformen vorsehen und ihm dadurch jede Erzählfreiheit rauben. (Hanns-Josef Ortheil, Das Kind, das nicht fragte, 6. Aufl. 2014, S. 217)

Das Wesen des Katholizismus

Der Katholizismus baut. Er baut, er musiziert, er orgelt, er singt, und dass er malt, versteht sich von selbst. Aber der Katholizismus schreibt nicht… Eine Vase bringt keine Blumen hervor. Man kann nicht Dichter sein und katholisch… (Thomas Hürlimann, Der Rote Diamant, 2022, S. 162)

Totes und Lebendiges: Gesetz und Analogie

Das Mittel, tote Formen zu erkennen, ist das mathematische Gesetz. Das Mittel lebendige Formen zu verstehen, ist die Analogie. Auf diese Weise unterscheiden sich Polarität und Periodizität der Welt. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1998, S. 4)

Never to Heaven

My words fly up, my thoughts remain below; Words without thoughts never to heaven go. (William Shakespeare, Hamlet, Act III Scene 3)

Form oder Inhalt?

Mehr Inhalt, wen‘ger Kunst. (William Shakespeare, Hamlet, übers. v. August Wilhelm Schlegel, Zweiter Akt, Zweite Szene)

Lebensklugheit

Aber mehr und mehr versüßte sich ihm auch die Lust am Worte und der Form, denn er pflegte zu sagen…, daß die Kenntnis der Seele allein unfehlbar trübsinnig machen würde, wenn nicht die Vergnügungen des Ausdrucks uns wach und munter erhielten… (Thomas Mann, Frühe Erzählungen – Tonio Kröger, S. 273 ff. [292] [Frankfurter Ausgabe, hrsg. v. Peter…

Form haben und Form sein

Alles, was lebt, hat Form dadurch, daß es lebt, und muß darum auch sterben: mit Ausnahme des Kunstwerks, das, eben weil es Form ist, für immer lebt. (Luigi Pirandello, Sechs Personen suchen einen Autor, 1995, S. 16)

My Way!

„Wie fang’ ich nach der Regel an?“ „Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.“

Leib und Seele: Aristoteles und Goethe

„Seele“ – das war für den echten Hellenen zuletzt die Form seines Leibes. So hat Aristoteles sie definiert. „Leib“ – das war für den faustischen Menschen das Gefäß der Seele. So empfand Goethe. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1998, S. 331)